1979 wurde ich auf eine Physik-Professur an der Humboldt-Universität berufen. Dort habe ich Hunderten von Studenten die Grundlagen der Thermodynamik vermittelt und habe auch als Dekan etliche Jahre die naturwissenschaftliche Fakultät geleitet.
Im Jahr 1990 wurde im Zuge der Wende-Ereignisse ein demokratisches Konzil gewählt und ich hatte die Ehre, zum ersten Präsidenten des Konzils gewählt zu werden. Damals sagte ich in meiner Antrittsrede, dass ich hoffte, dass die Universität nun von einer Ideologie-geleiteten Politik wieder zu den Grundsätzen der Begründer der Thermodynamik zurückkehren könne.
Open Source
08.05.2023
Ich bin auch heute fest überzeugt: Es wäre einfacher, den Klimawandel effektiv zu bekämpfen, wenn Gesellschaft und Politik eine bessere Kenntnis der Gesetze der Naturwissenschaft und besonders der thermodynamischen Grundlagen hätten. Im Umbruch 1990 war man dazu jedoch noch nicht bereit. Der Vorsitzende der studentischen Fraktion, die ein Drittel der etwa 500 Sitze stellte, sagte, man wolle nicht zurück zur Gelehrten-Universität und auch die Statue des alten weißen Mannes Helmholtz auf dem Vorplatz würde dort bald nicht mehr stehen. Glücklicherweise kam es nicht so, das Denkmal steht heute noch mittig hinter denen der Brüder Humboldt und Helmholtz hat mit seinem Energiesatz immer noch recht!
Doch wie ist es heute? Der Klimawandel lässt nicht mit sich verhandeln. Die naturwissenschaftlichen Gesetze und Bedingungen auf dieser Erde, die unser Klima bestimmen, sind unabhängig vom Wollen und Wünschen ohne Ausnahme gültig. Werden die alten und neuen Gesetze unserer Regierung dieser Wahrheit gerecht? Kurz gesagt: Die Richtung stimmt. Wir unterstützen die richtigen Ziele. Dies habe ich schon seit 30 Jahren in diversen Buchpublikationen ausgesprochen (siehe, unter anderem: Ebeling und Feistel: „Chaos und Kosmos“, Spektrum, Heidelberg, 1994). Es verbleiben jedoch schwache Punkte. Wo hat das Wollen und Wünschen der Bundesregierung noch heute den Vorrang vor Fakten und Naturgesetzen?
Berlin
24.04.2023
Vor über hundert Jahren wurden von den Berliner Wissenschaftlern Helmholtz, Clausius, Planck und Nernst die drei Hauptsätze gefunden, die alle mit Energie und Wärme verbundenen Prozesse auf dieser Erde und besonders das Klima bestimmen. Das Gesetz von Helmholtz sagt aus, dass Energie bei allen Prozessen nur umgewandelt werden kann, wobei die Menge erhalten bleibt. Die Gesetze von Clausius, Planck und Nernst sagen ergänzend dazu aus, dass dabei die Größe Entropie eine richtungsweisende Rolle spielt.
Das Denkmal von Hermann von Helmholtz vor der Humboldt-UniversitätSteinach/imago
Vereinfacht gesagt beschreibt Entropie das Phänomen, dass Energie bei Umwandlungen die Tendenz hat, entwertet zu werden, weil dabei unvermeidbar Entropie entsteht, die nicht von allein verschwindet. Daher kommen letztlich auch die zentralen Forderungen des Klimaschutzes, die Menschheit muss vorhandene Energie möglichst effektiv nutzen, also möglichst wenig Entropie erzeugen, und müsste weniger CO2 produzieren, als die Photosynthese umwandeln kann.
„Es kommt nur auf die Gesamtbilanz der Erde an“
Was unsere Regierung dabei oft vergisst: Es kommt nur auf die Gesamtbilanz der Erde an und nicht auf diesen oder jenen Erfolg in einem Teilsektor. Es gibt kein deutsches oder europäisches Klima, es gibt nur das Klima der Erde. Diese Denkweise muss als Grundlage des Klimaschutzes dienen, denn sonst kommt es zu fatalen Fehlentscheidungen.
Nur ein Beispiel: Es war ein Fehler der Bundesregierung, dass die BRD den Export von Kraftwerken faktisch gestoppt hat. Diese Kraftwerke waren mal ein Exportschlager und erzielten einen Wirkungsgrad von 50 Prozent oder sogar mehr, gegenüber von etwa 30 Prozent Durchschnitt der Effizienz der Erzeugung elektrischer Energie in den Entwicklungsländern.
Was hätte wohl Helmholtz dazu gesagt, dass die Politik freiwillig auf den Export von Kraftwerken verzichtet, die in 20 bis 30 Jahren eine drastische weltweite Reduzierung des CO2-Ausstoßes von Kraftwerken um etwa die Hälfte bedeutet hätte? Andererseits hatte man offenbar keine Bedenken, den Export von einer Million Granaten und Bomben zu beschließen.
Klima
02.05.2023
Klima
10.05.2023
Die werden beim Einsatz eine gewaltige Zerstörung und einen nicht verantwortbaren CO2-Ausstoß verursachen. Wenn damit eine Million Häuser zerstört werden, entstehen in der Bilanz Klimaschäden, die weitaus größer sind als die eher bescheidenen Gewinne unterm Strich durch das neue Gebäudeenergiegesetz.
Eine allgemeine Regel muss bei Methoden der Energiegewinnung, -nutzung und -speicherung immer beachtet werden: Es sollten möglichst wenige Umwandlungen von Energie in andere Formen erfolgen, denn bei jeder Umwandlung wird Energie entwertet. Nach zwei Umwandlungen ist im Durchschnitt nur noch die Hälfte der Energie wertvoll und nutzbar, etwa für den Antrieb von Fahrzeugen. Eine Ausnahme bildet dabei nur die Umwandlung elektrischer und mechanischer Energie untereinander.
Es kommt nur auf die Gesamtbilanz der Erde an und nicht auf diesen oder jenen Erfolg in einem Teilsektor.Nasa
Ein Bürgermeister, der die Chance hat, Energie mit einer Pumpspeicheranlage lokal zu speichern, sollte dies unbedingt tun, denn es geht fast keine Energie verloren; auch ein Wasserturm könnte der Zwischenspeicherung dienen. Auch Wärme kann man gut leiten und speichern. Fast alle Alternativen sind nachteilig und Speichern in Form chemischer Energie, ob als Wasserstoff oder in Form von Batterien mit Speicherung an Elektroden, ist immer mit Verlusten verbunden. Der Bürgermeister wäre aber gut beraten, auch über eine zentrale Wärmepumpe nach dem Vorbild der dänischen Stadt Esbjerg nachzudenken, die viele Vorteile gegenüber Anlagen für jedes Haus bietet.
Gesetzeslücken im Bereich CO2-Speicherung
Das Problem lässt sich auch an folgendem Beispiel leicht illustrieren. Ein bekannter TV-Experte wollte unlängst in der „Terra X“-Serie nachweisen, dass der elektrische Antrieb von Fahrzeugen mit ca. 73 Prozent unschlagbar effizient ist. Leider ist seine Abschätzung aber nur für Elektro-Busse mit Oberleitungen nachzuvollziehen. Normale Pkw speichern die Energie in Batterien, was mit zwei Umwandlungen beim Laden und Entladen und Verlusten verbunden ist. Der O-Bus und die Straßenbahn sind allerdings nach wie vor unschlagbar. Diese Tatsache sollten Politiker unbedingt im Hinterkopf behalten, wenn es um die Gestaltung der Verkehrswende geht.
Eine weitere Gesetzeslücke existiert im Bereich der CO2-Speicherung. Schon der letzte Weltklimabericht hat deutlich gemacht, dass die Weltgemeinschaft deutlich mehr CO2-Ausstoß vermeiden muss, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch zu erreichen. Das heißt aber, der CO2-Ausstoß muss nicht nur verringert werden, der Atmosphäre muss auch gezielt CO2 entzogen werden (CDR/CCS). Gerade wurde unter Federführung der Oxford-Universität ein Bericht zum globalen Stand der CO2-Entnahmen aus der Atmosphäre veröffentlicht. Die Ergebnisse der Analyse zeigen deutlich: Alle untersuchten Staaten, auch Deutschland, hinken in Sachen CDR/CCS deutlich hinterher.
Mitte
22.01.2023
Klima
09.05.2023
Pro Jahr werden bisher weltweit nur rund 2 Milliarden Tonnen CO2 aktiv aus der Atmosphäre entnommen – das sei viel zu wenig gegenüber mehr als 30 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen, heißt es im Bericht. Leider ist am „Hinken“ der BRD auch ein Berliner Gesetz mitschuldig: Das bestehende Kohlendioxid-Speicherungsgesetz stammt aus 2012 und „regelt“ die Erforschung von Speichertechnologien in unterirdischen Gesteinsschichten. Es ist höchste Zeit, eine neue Gesetzeslage so zu gestalten, dass die deutschen Firmen, die CDR erforschten und in die USA abgewandert sind, wieder zurückkommen und die BRD wieder zurück auf einen Spitzenplatz bringen.
Man muss also schleunigst innovativ werden, auch wenn der BUND schon jetzt mit Klagen gedroht hat. Europäische Länder wie Norwegen sind da schon weiter, indem sie die Speicherung von CO2 am Meeresgrund fördern und ein Milliardenprojekt für eine Kooperation mit dem Rostocker Hafen planen. Man beachte: Im Meer ist jetzt schon etwa 50-mal so viel Kohlenstoff gelöst, wie in der Atmosphäre enthalten ist. Dieser potenzielle Speicher ist riesig und nicht ausgeschöpft sowie fast immer gefahrlos!
Ein Klimaaktivist der Gruppe Letzte Generation in BerlinMichael Sohn/AP
Effekte statt Versprechen
Gäbe es einen Klimabeauftragten, nennen wir ihn Petrus, der am Abend jedes Tages und am Jahresende jedem Bürger und auch Politikern einige Kontrollfragen stellen würde, wären die Ergebnisse interessant. Wie viel Kilowattstunden Elektroenergie hast du heute verbraucht, das heißt entwertet? Wie sieht deine heutige CO2-Bilanz aus, plus oder minus?
Wer würde wohl gut dastehen? Würden Versprechen nicht gelten, sondern nur erreichte Effekte, ständen wohl die Förster, Landwirte und Kleingärtner mit ihrer Bilanz am besten da. Die Besitzer einer teuren Solaranlage auf dem Dach oder einer Wärmepumpe, die sich erst noch amortisieren müssen, hätten es schwer, mit der CO2-Bilanz von zwei Linden vor einem alten Katen zu konkurrieren.
Klima
04.05.2023
Klima
02.05.2023
Politiker hätten es ganz schwer! Wer dafür sorgt, dass ab 2024 eine Million Haushalte energetisch saniert werden, sammelt Pluspunkte – aber wenn er gleichzeitig Granaten für die Zerstörung einer Million Häuser anderswo zur Verfügung stellt, rutscht seine Bilanz ganz tief ins Minus. Die Klimakleber hätten bei dem unbestechlichen Klimabeauftragten nur dann eine Chance, wenn sie einige Bäume gepflanzt und gepflegt und Brandbekämpfung unterstützt hätten.
Die Feuerwehr bekäme exzellente Noten. Jeder Brand ist ein Klimazerstörer und jeder hier investierte Euro zahlt sich vielfach aus (hier fehlende Investitionen sind ein weiterer Mangel unserer derzeitigen Politik!). Einen Urlaub als Feuerwache im Wald würde unser Klimabeauftragte gut honorieren, aber wer einen Urlaub mit großem CO2-Aufwand in der Karibik verbracht hätte, sollte den Fragen von Petrus besser ausweichen!
Die großen Berliner Forscher haben uns gelehrt: Es kommt nicht auf die Absicht an, sondern nur auf die Bilanz von Energie-Entropie-Stoff. Jeder sollte bedenken, dass er persönliche Verantwortung trägt. Aber der Klimawandel ist ein Weltproblem, das vor allem entschlossener und fähiger Politik bedarf – sowohl in Berlin als auch in Brüssel wie auch in jeder Gemeinde.
Jeder Brand ist ein Klimazerstörer und jeder hier investierte Euro zahlt sich vielfach aus.Jan Woitas/dpa
Kriege, Waffen und Zerstörung sind dabei natürlich nicht hilfreich. Die Menschheit kann das Klimaproblem nur mit einer gewaltigen Anstrengung durch friedliche Kooperation lösen und nicht so nebenbei neben anderen „wichtigeren Problemen“, die alle mit Macht und Einflusssphären zusammenhängen. Klima sollte nicht nur in den Absichten, sondern „unterm Strich“ die Priorität haben. Jedes selbstzufriedene „Weiter so“ heißt, das Klima der Erde aufzugeben!
Werner Ebeling, geboren 1936, ist ein deutscher Physiker und emeritierter Professor der Humboldt-Universität. Er forschte unter anderem zu Themen der Thermodynamik und Entropie.
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